Podiumsdiskussion über neue Herausforderungen in den deutsch-polnischen Beziehungen
Präsentation des Buches »Feinde, Fremde, Freunde« von Rolf Nikel, deutscher Botschafter in Warschau a.D.
Podiumsdiskussion über neue Herausforderungen in den deutsch-polnischen Beziehungen. Präsentation des Buches "Feinde, Fremde, Freunde" von Rolf Nikel, deutscher Botschafter in Warschau a.D.
Eine erfahrungsreiche Veranstaltung erlebten die Besucherinnen und Besucher am Mittwoch, dem 31.01.2024, im Verbindungsbüro des Freistaates Sachsen in Wrocław. Die Veranstaltung, die gemeinsam mit der Konrad-Adenauer-Stiftung, vertreten durch Herrn Falk Altenberger unter der Schirmherrschaft des deutschen Generalkonsuls in Wrocław organisiert wurde, lockte ca. 80 interessierte Gäste aus Wrocław und Umgebung.
In ihrer Eröffnungsrede stellte Anna Leniart, Leiterin des Verbindungsbüros, die Einwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen in den letzten acht Jahren dar. Nach acht Jahren der Regierung von PiS haben beide Seiten einen großen Nachholbedarf. Die antideutsche Rhetorik der polnischen Rechten, die dazu diente, die eigene Hardliner-Wählerschaft zu mobilisieren, führte auch zu einer Verschärfung der deutschen Position.
Berlins fehlgeleitete Politik gegenüber Russland, symbolisiert durch die Verteidigung des Nord-Stream-Gaspipeline-Projekts bis zum letzten Moment, hat die Glaubwürdigkeit der Deutschen in den Augen der Polen schwer beschädigt – nicht nur bei den Anhängern des rechten Lagers. In der deutschen Politik ist das Bewusstsein gewachsen, dass die Deutschen die Lücken in ihrem historischen Wissen über den Krieg und die Besatzung Polens schließen müssen. Sonst könne man die heutige Position Polens nicht verstehen. Die Ausbeutung der deutschen Unbefangenheit und die bisherig unbestrittene Verantwortung Deutschlands für die Verbrechen des Zweiten Weltkrieges, um die aktuelle deutsche Politik zu diskreditieren, war ein großer Fehler der polnischen Regierung und hat die bilateralen Beziehungen grundlegend belastet.
Zweifellos sind die deutsch-polnischen Beziehungen derzeit auf dem schlechtesten Stand seit dem Ende des Kalten Krieges und der demokratischen Wende 1989/1990.
Während das vergangene Jahr für die politischen Beziehungen weitgehend ein verlorenes war, haben Politiker und Experten auf beiden Seiten in den unteren Ebenen viel dafür getan, dass der Dialog nicht abbricht. Die Partnerschaften zwischen den Grenzregionen gedeihen, unabhängig von der Stimmung in Warschau oder Berlin.
In diesem Jahr feiern Sachsen und Niederschlesien das 25-jährige Jubiläum der regionalen Zusammenarbeit. Die Bilanz kann sich sehen lassen: florierende Regionalbüros in Dresden und Wrocław, zahllose grenzüberschreitende Infrastruktur- und Verkehrsprojekte, eine enge Zusammenarbeit von Justiz, Polizei und Rettungsdiensten, Hochschulkooperationen, ein reger wissenschaftlicher und institutioneller Austausch, Innovations- und neue Technologieprojekte, lebendige Schulpartnerschaften, höchst inspirierende Kulturveranstaltungen, aber auch eine aktive Zivilgesellschaft, die sich auch ohne institutionelle Unterstützung zurechtfindet. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit ist beeindruckend. Handel und Investitionen entwickeln sich vorbildlich, ungeachtet der Rhetorik aus beiden Hauptstädten.
Heute bietet sich in Warschau und Berlin die Chance für eine neue Öffnung – zweifellos wird es ein schwieriger und langer Weg sein, der Geduld, Respekt und Verständnis erfordert. Was wir brauchen, ist ein Dialog "auf Augenhöhe", der sowohl die Interessen Polens als auch den andauernden Krieg in der Ukraine beinhaltet.
In seinem Grußwort verwies Generalkonsul Martin Kremer u. a. darauf, dass er und der ehemalige Botschafter seit vielen Jahren ein gemeinsames Interesse an der Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen haben. Besonders zu Zeiten, da es auf der obersten Ebene nicht so gut funktioniert, komme der bilateralen Zusammenarbeit zwischen Sachsen und Niederschlesien eine besondere Bedeutung zu.
Falk Altenberger aus der Konrad-Adenauer-Stiftung erläuterte den Wert des Buches von Rolf Nikel, insbesondere für deutsche Leser, um die Perspektive der komplexen Beziehungen zu Polen zu verstehen.
Im weiteren Verlauf übernahm Prof. Dr. Ruchniewicz, Leiter des Willy-Brandt-Zentrums für Deutschland- und Europastudien der Universität Wrocław die Moderation des Podiumsgespräches, an der Rolf Nikel und Dr. Justyna Bokajło aus dem Institut für internationale Studien und Sicherheitsforschung der Universität Wrocław teilnahmen.
„Warum“, so fragte er den Autoren, „haben Sie diesen Titel, in gerade dieser Reihenfolge: Feinde, Fremde, Freunde? gewählt “ und „Was hat Sie zu diesem Buch motiviert?“ „Der Titel sei die Widerspieglung der Historie beider Staaten“, antwortete Rolf Nikel und fügte seine Intensionen an, dieses Buch zu schreiben. Die Deutschen wüssten einfach zu wenig über ihre polnischen Nachbarn, Polen gewinne zunehmend an Bedeutung an der NATO-Ostflanke sowie im Hinblick auf die EU-Osterweiterung und die deutsche Politik kommt zu dem Einsehen, dass ihre Ostsicherheitspolitik gescheitert ist und korrigiert werden müsse. Beispielsweise sei der Bau der Pipeline Nordstream II ein Fehler gewesen, der die Polen sehr verärgert hätte.
Dr. Bokajło ergänzt: „Bilaterale Beziehungen in der Gesellschaft entwickeln sich über wirtschaftliche Kontakte. Beide Staaten richten ihre Volkswirtschaften auf die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft aus. Von den Ergebnissen der fortschreitenden Digitalisierung und zukunftsweisenden Innovationen könnten beide Länder voneinander profitieren“, so die Wirtschaftswissenschaftlerin.
Einen wichtigen Beitrag zur Debatte leistete Krzysztof Bramorski, Beauftragter des Marschalls der Woiwodschaft Niederschlesien für internationale Beziehungen, der ein ermutigendes Bild der grenzüberschreitenden Beziehungen aus der Sicht von mehr als 25 Jahren zeichnete.
Die anschließende Diskussion wurde von starken Emotionen, aber mit sachlichen Argumenten geführt. Interessenkonflikte zwischen Polen und Deutschland gebe es unabhängig von der jeweiligen Regierung. Doch gerade in Zeiten der „großen Krisen“ sei es wichtig, dass Polen und Deutschland wieder zueinander finden und gemeinsam europäische und globale Themen angehen.
Aus dem Publikum wurde die Befürchtung geäußert, dass Deutschland nach dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine pragmatisch die Handelsbeziehungen zu Russland wieder aufleben lassen könnte. Rolf Nikel beruhigte diese Befürchtungen und versicherte, dass es keine Rückkehr zum „business as usual“ geben werde, Nordstream II werde nicht in Betrieb gehen. Heute stünden beide Länder vor neuen Herausforderungen, um die bilateralen Beziehungen wieder aufzubauen. Es gäbe eine solide Basis mit pragmatischen Lösungen, z.B. in vielfältigen Jugendprojekten oder in Verkehrsprojekten im Verflechtungsraum der Nachbarregionen. Mit Mut und Motivation ließen sich sicherlich neue, kreative Lösungen der Zusammenarbeit finden.